DIE MENSCHENRECHTSFUNDAMENTALISTEN
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Die Rede, die ein jesidischer Geistlicher jetzt halten müsste

Die Rede, die ein jesidischer Geistlicher jetzt halten müsste

Am 4. Februar 2013 wurde der Vater der ermordeten Arzu Özmen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Aus unserer Mitte ist ein junges Mädchen gerissen worden, das seine Zukunft erst noch vor sich gehabt hätte. Wir erteilen allen bösartigen Stimmen eine Absage, die dem Mädchen selbst eine Schuld an ihrem sinnlosen und elenden Tod zuschieben wollen. Am 4. Februar wurde Klarheit geschaffen - dieser Tag sollte in die Geschichte eingehen, besonders in die Geschicht der Jesiden in Deutschland, als ein Tag der Befreiung.

Dieses Land hat uns aufgenommen, als wir verfolgt wurden und Hilfe brauchten. Es ist an uns, den Menschen in Deutschland zu zeigen, dass dies keine falsche Entscheidung war. Natürlich gibt es immer auch Konflikte. Nicht jeder, der hier lebt, ist uns wohlgesonnen. Natürlich gibt es auch Fremdenfeindlichkeit und Hass. Aber wir sind nicht nur Opfer. Wir treffen auch auf Menschen, die uns Gutes tun, und auch in unseren eigenen Reihen gibt es leider einige, die das Fremde hassen. Doch nicht nur das. Leider gibt es in vielen Familien immer noch das Brautgeld, es gibt noch immer ein Verbot, Beziehungen zu Nicht-Jesiden einzugehen, es gibt Drohungen und Schläge, es gibt Ehrenmorde.

Und es gibt einige unter uns, die sagen, wir Jesiden können auf solche Dinge nicht verzichten. Es gibt einige unter uns, die allen Ernstes behaupten, diese Dinge wären ein unverzichtbarer Teil unserer Kultur, ja geradezu das, was unsere Kultur ausmacht. Wenn das wirklich wahr wäre, dann wäre unsere Kultur die armseligste auf dieser Erde. Glaubt denn wirklich jemand, dass wir den guten Namen des Jesidentums auf die Unterdrückung von Menschen und archaiische Gewalt aufbauen können? Glaubt denn wirklich jemand, dass eine Gemeinschaft nur dann weiterbestehen kann, wenn wir sie mit brutalen Methoden zum Zusammenhalt zwingen? Glaubt denn wirklich jemand, wir könnten in Deutschland so leben, als wären wir in einem entlegenen Bergdorf im Nahen Osten?

Unsere Kinder gehen hier zur Schule, einige haben Freunde, die manchmal ein freieres Leben führen als sie selbst. Unsere Kinder lesen in der Schule "Romeo und Julia" und stehen mit Herz und Seele auf der Seite der beiden Liebenden, deren Verbindung von ihren Eltern nicht gewollt wird. Unsere Kinder lesen vielleicht auch "Effi Briest", die Geschichte einer jungen Frau, deren Leben, einschließlich der Verbindung mit einem von ihnen ausgesuchten Ehemann, völlig von den Eltern vorbestimmt wird und in einem Fiasko endet. Unsere Kinder lesen in Goethes "Faust" vielleicht auch von Gretchens Bruder Valentin, einem selbstgerechten und fehlgeleiteten jungen Mann, der mit Gewalt über die Tugend seiner Schwester wachen will, wohl weil in ihm selbst nichts Tugendhaftes und Gutes steckt. Kurz, unsere Kinder werden werden konfrontiert mit der großen Literatur vergangener Zeiten und merken, wie rückwärtsgewandte Strukturen in all ihrer menschenverachtenden Hässlichkeit offengelegt und immer wieder auch bekämpft, manchmal sogar überwunden werden. Unsere Kinder lernen im Politikunterricht, dass sie Rechte haben, die ihnen niemand nehmen kann. Die freie Wahl des Parnters ist ein Menschenrecht.

All dies lässt sich nicht aufhalten und das ist gut so. Keine Religion sollte Unterdrückung und Gewalt gutheißen. Auch die unsere tut es nicht. Wer im Fall Arzu Özmen zum Mörder geworden ist oder aber den Mördern zujubelt, ist keiner von uns. Der 4. Februar 2013 ist eine Ohrfeige für all jene, die glaubten, den Lauf der Zeit dadurch aufhalten zu können, indem man zum Verbrecher wird. Wir leben hier und heute in Deutschland mitten unter Menschen, denen wir zurufen müssen: Eure Söhne und Töchter sind gut genug für uns, und unsere Söhne und Töchter sind gut genug für euch. Dann zeigen wir der Welt, dass unser Glaube ein Glaube der Liebe ist.

Wir sind nicht länger Verfolgte, also lasst uns aufhören, uns so zu benehmen. In den letzten Jahren wird das Jesidentum in der deutschen Öffentlichkeit nur mit Gewalt und Mord in Verbindung gebracht. Das ist nicht die Schuld der anderen: Es ist unsere Schuld, solange die Mörder unter uns sind und solange wir, die wir keine Mörder sind, dagegen nicht aufbegehren. Und daher frage ich jeden von euch: Wo wart ihr, als Arzu, unsere Schwester, hingeschlachtet wurde wie Vieh? Wo wart ihr, als Menschen bedroht wurden, die sich für das Gedenken an Arzu eingesetzt haben? Wo wart ihr, als es darum ging, dass es nie wieder einen neuen Fall Arzu geben darf? Wenn ihr guten Gewissens sagen könnt, ja, ich habe etwas dagegen getan, so habt ihr unserer Gemeinschaft einen unschätzbaren Dienst erwiesen.

Ich weiß, dass all diese Wahrheiten für manchen zu bitter schmecken mögen und dass er sich daher dieser Medizin verweigern wird. Krank bleiben kann aber keine Lösung sein. Und die anderen unter uns, die niemals von dieser heimtückischen Krankheit des Ehrenwahns angesteckt gewesen sind: Seid ein Vorbild! Zeigt, dass euch eure Kinder wichtig sind als das Gerede dummer und engstirniger Menschen in eurem Umfeld. Seid stark und aufrichtig! Es sind eure Kinder und sie verdienen die besten Eltern, die sie haben können. Seid diese Eltern!

Wir leben im Jahr 2013 in Deutschland und wir sind Jesiden. Das ist die Wirklichkeit. Wir wollen diese Wirklichkeit annehmen!

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